"Nahtstellen"

Persönliche Gedanken zu Politik und Spiritualität von Mag. Barbara Knittel

Nahtstellen
Persönliche Gedanken zu Politik und Spiritualität.

 

 Mit dem ersten Irakkrieg hat es begonnen, also vor mehr als 10 Jahren, dass ich aus einer Naivität aufgewacht bin. Bis dahin hatte ich wirklich gehofft, dass ein globales, friedliches Zusammenleben der Menschen auf dieser Erde zwar langsam, aber doch erreichbar ist. Meine Bilder vom Menschen waren von humanistischen Ansätzen in der Psychotherapie geprägt, von Gedanken, dass der Wesenskern des Menschen gut ist und dass durch Bewusstseinsarbeit der Weg zu diesem Kern frei werden könnte. Meine therapeutische Arbeit war geprägt von dieser Hoffnung und auch meine Beteiligung in der Friedensbewegung. Gerade in der Friedensarbeit war ich auch spirituell verwurzelt: „Friede auf Erden, in Verbundenheit mit Gott“ - das war die Kurzform meiner Gedanken. Um es in biblischer Sprache auszudrücken: da heißt es gleich am Anfang des Lukasevangeliums in der Botschaft der Engel an die Hirten mitten in der Nacht: „Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend“, und einige Zeilen weiter „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ Lk. 2/12,14.

Friede auf Erden, der mit der Hinwendung zu einem Kind beginnt , -und ich erweitere jetzt, - mit der Hinwendung zu den Kindern, den Kleinen, den Ohnmächtigen und eins ist mit der Verbundenheit zu Gott oder dem Göttlichen, wie immer man das nennen möchte.

Aber nun merke ich, dass diese Gedanken mir so keinen Halt mehr geben.. Nach wie vor denke ich, dass Friede mit der Zuwendung zu den Ohnmächtigen beginnt, aber es sieht so aus, dass der globale Friede nicht erreichbar wird. Es geht für mich darum, illusionsloser hinzusehen Wenn ich die Disposition in der menschlichen Natur zu Gewalt und Destruktion ernst nehme, dann braucht es nüchternere Menschenbilder(1) und verbunden damit auch eine illusionslosere Spiritualität, in der die Begrenztheit des Menschen und dessen Neigung zur Zerstörung stärker bedacht wird. Jedenfalls merke ich, wie die politischen Ereignisse der letzen Jahre auch Bereiche meiner Spiritualität erschüttert haben.

 
Zunächst möchte ich auf das eingehen, was mich im politischen Bereich zur Zeit erschüttert:

Liegt es an der wachsenden Globalisierung, dass nun weltweite Zusammenhänge deutlicher zutage treten und ich das jetzt nüchterner erkenne? Oder spitzt sich tatsächlich eine weltweite Krise zu? Vielleicht trifft beides zusammen. Jedenfalls wird die ungerechte Verteilung der Güter dieser Erde zwischen Reichen und Armen deutlicher. Der sich ausbreitende sog. Liberalismus in der Wirtschaft verschärft das Ganze. Der ehrliche und interessierte Kontakt zu Menschen aus anderen Kulturen und  anderen Religionen gerät ins Stocken. Das birgt Sprengkraft in sich, die sich zur Zeit in grauenhafter Weise entlädt. Besonders wenn ich an den zweiten Irakkrieg denke, der ja überhaupt nicht zu Ende ist, oder an die Brutalität, mit der die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern geführt werden. Da tritt etwas zutage, das schon lange begonnen hat. Mühsam errungene Werte, wie der Respekt vor der menschlichen Würde mitten im Pluralismus des Menschseins greifen nicht. Die Charta der Vereinten Nationen, die zum Schutz der schwächeren Staaten vor der Gewalt der stärkeren Staaten vereinbart wurde, hat an Bedeutung verloren. Der Exgeneral der Vereinten Nationen Boutros Galli spricht vom Irakkrieg als einen Kolonialkrieg auf dem Niveau des 19. Jahrhunderts, und das mit Beteiligung der Staaten, die an der Gründung der UNO wesentlich mitgewirkt haben. Eigentlich ist mit dem  20. März 2003 , dem Beginn des Krieges die Völkerrechtskonvention außer Kraft gesetzt worden.

Im engeren Rahmen, z. B. hier in Österreich zeigt sich eine Brüchigkeit von bisherigen politischen Strukturen und ein Rückzug des Staates aus politischer Verantwortung, vor allem wenn es um Grenzbereiche des Lebens geht. z.B. bei Krankheit und Alter und bei der Asylpolitik. Noch ist nicht klar, ob das auch Begleiterscheinungen einer Krise sind.

Wenn ich all das denke, werde ich unruhig und bekomme auch Angst. Wo geht das hin ? Zugleich nehme ich diese Unruhe und Angst als Impuls, um genauer hinzusehen:

Die politische Erschütterung, besonders die derzeitigen Kriege, wo es ja ähnlich, wie zum Beispiel im 2. Weltkrieg um schwere kollektive Traumatisierungen geht, erfasst auch tiefere Ebenen. Wie schon in früheren Krisenzeiten des Lebens frage ich mich wieder, - was trägt noch, und - was ist es, das menschliches Erleben, Verhalten und Handeln umgreift, färbt und prägt? Mir leuchten dazu Gedanken des Tübinger Theologen Hans Küng sehr ein, der damit im Zusammenhang weniger von spiritueller oder religiöser Verwurzelung spricht, sondern davon, ob menschliches Handeln von einem Vertrauen, er sagt, von einem Grundvertrauen getragen ist oder nicht.

Damit meint er ein Ja zu dieser fraglichen Wirklichkeit, eine bei aller Kritik im einzelnen doch grundsätzlich vertrauende Grundeinstellung zu dieser Wirklichkeit von Mensch und Welt als der „Grundlage für alles ethische Verhalten und Handeln des Menschen in dieser Wirklichkeit.“(2) Wesentlich ist, ob der Mensch sein Menschsein verwirklicht. „Wahrhaft menschlich, human! Und nicht unmenschlich, inhuman, unsozial, gar bestialisch, entmenschlicht!“ (3). Er meint auch, dass für dieses Ja eine Grundentscheidung möglich ist, auch für das Nein dagegen. Der Wille spielt dabei eine Rolle. „Ich kann bewusst Nein sagen.....kann allerdings auch bewusst Ja sagen: Zum Grund und Sinn meines Lebens trotz allen Unsinns, zur Wirklichkeit überhaupt, trotz aller Nichtigkeit. Ein Wagnis freilich ist dies angesichts des offensichtlichen Risikos der Enttäuschung, angesichts des immer wieder möglichen Scheiterns“. (4 )Dieses grundsätzliche Ja kann man nicht einfach durchhalten. In Krisen und Enttäuschungen wird es erschüttert, aber es muss deshalb nicht verloren gehen.

Ich persönlich kann mich in diesen Gedanken wiederfinden, auch mit der Erfahrung, dass in Krisen dieses Grundvertrauen erschüttert ist und dann ein Grenzgang einsetzt. Bricht das Grundvertrauen oder setzt eine tiefgreifende Transformation ein, in der sich dieses Vertrauen ändert und in paradoxer Weise doch bleibt. Ich kenne das nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern auch aus der Arbeit mit schwer traumatisierten Menschen. Die Erschütterung ergreift diese Menschen so tief an, dass immer dieses Grundvertrauen betroffen ist. Und nun ist es Thema: Bleibt eine innere Zerstörung und Zerstückelung, oder setzt eine Transformation ein, die nach meiner Erfahrung in sehr individueller Weise auch die spirituelle Ebene mit einschließt.

Mit dem politischen Thema, konkret mit dem derzeitigen Kriegsthema, gehe ich noch einen Schritt weiter und nehme die kollektive Traumatisierung auf, und frage: was bleibt nun, was ändert sich. Neben den offiziellen Informationen über den Irak sickern ja auch andere Nachrichten ein, zum Beispiel über die Reiseberichte der Wiener Ärztin Dr. Eva Maria Hobinger, die von den fortgesetzten Plünderungen erzählt, auch der Spitäler. Auf die Frage an amerikanische und britische Soldaten, warum sie das zuließen, kam die Antwort, sie seien zum Kämpfen da und nicht zum Schützen. Noch löst Gewalt die nächste Gewalt aus und ist verbunden mit einer kollektiven Erschütterung des Grundvertrauens. Und trotzdem frage ich, - kann denn das alles sein? Oder passiert dazwischen  oder verbunden damit womöglich noch anderes. Dem möchte ich jetzt nachgehen.

Dieses Grundvertrauen wird ja für viele, auch für mich aus dem spirituellen Bereich genährt. Die Frage ist nun – wie ist es möglich, mitten in diesem ‚Unsinn’ zu einem vertrauenden Ja zu finden.

Bei derartigen Erschütterungen , die bis in die spirituellen Wurzeln reichen, liegt es nahe, auf den Erfahrungsschatz von Menschen zurück zu greifen, die ähnliches erlebt haben, deren spirituelle Basis erschüttert wurde, die sie aber doch nicht ganz verloren haben. Da mir dieses Thema aus dem jüdisch-christlichen Bereich besonders vertraut ist, setze ich erst hier ein:

Ein ‚Inbild’ von Erschütterung im religiösen Bereich ist für mich Jesus selbst, wie er z. B. vom Evangelisten Markus geschildert wir. Um das zu verstehen, musste ich erst die Bilder vom überhöhten Jesus beiseite schieben. Zum Beispiel von Jesus dem Christus, der von allen Sünden erlöst. Ganz schlicht ist da beim Evangelisten Markus zu lesen von einem Mann, der in der üppigen Landschaft Galiläas aufritt, in seiner Überzeugung etwas ganz Neues und zugleich Altes bringt, der die Zeit der Gottesnähe ankündigt, körpernah heilend, voll Zuwendung und Klarheit, vor allem gegenüber den Außenseitern und Ohnmächtigen der Gesellschaft. Je mehr er mit der religiösen Oberschicht zu tun hat, desto radikaler setzt er sich mit ihnen auseinander. Obwohl er weiß, was auf ihn zukommen kann, tritt er den Weg nach Jerusalem an. Nicht um das Leid zu suchen, sondern um seiner gefundenen Wahrheit treu zu bleiben. Seine tiefe Verbundenheit mit Gott, -Gottessohn wird er ja genannt, so wie es viele Gottessöhne und Gottestöchter gibt-, wird ihm als Gotteslästerung ausgelegt.  Er kommt vor Gericht, wird zum Tod verurteilt und ist damit zumindest vordergründig mit seiner Botschaft gescheitert. Sein Sterben ist eine Qual,  von seinen Freunden verlassen, ohne Trost. Und, so erzählt Markus, seine Erschütterung ist so groß, bis hinein in seine tiefsten Überzeugungen, dass er in seinen letzten Worten am Kreuz herausschreit: “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mk.15/35)

Wenn man die jüdische Art zu beten aus den Psalmen kennt, - und diese Worte finden sich in einem früheren Psalmgebet -, dann ist das ein Hinabsteigen in die tiefsten Zweifel, um dann, wie in einer Wellenbewegung die andere Seite des Glaubens wieder aufzunehmen. Eine paradoxe Gleichzeitigkeit (Ps. 22,2 u.25).

Mit diesem letzten Schrei stirbt Jesus. Der Evangelist Markus endet sein Evangelium aber anders, nämlich mit einer Beschreibung, wie die Freunde und Freundinnen Jesu zum seinem Grab kommen und es leer vorfinden. “Schrecken und Entsetzen“ (Mk.16/8) packt sie. Hier endet das Evangelium, - mit ‚Leere’ im Grab. Alle Vorstellungswelten kommen da an eine Grenze. Nur weil das so schwer auszuhalten war, wurde später ein zweiter Schluss angefügt. Eine Begegnungsgeschichte mit dem auferstandenen Jesus. Aber wenn man das erste Ende ernst nimmt, dann beginnt das Neue mit einer Erschütterung und mit ‚Leere’ Dazu gehört noch, dass Markus dieses Evangelium für Christen in der zweiten Generation geschrieben hat, die selbst schweren politischen und religiösen Erschütterungen ausgesetzt waren. Für sie wurde so verständlich, dass mitten im Ende auch ein Anfang liegen kann.

Dunkle Nacht der Gottesfinsternis“ haben christliche Mystiker solche Erfahrungen genannt, Dorothee Sölle, die erst vor Kurzem gestorben ist, und deren Anliegen es immer war, Politik und Mystik zu verbinden, sagt in dem Zusammenhang:“ Ich kämpfe mit meiner eigenen Weltangst und dem Gefühl, dass die Religion in einen geistlosen Materialismus hineinstirbt. Es ist kein Zufall, dass ich Hilfe suche gerade bei denen, die ‚die dunkle Nacht’ der Geschichte und der Gottesfinsternis kannten“.(5) Zu dem Bild der „Gottesfinsternis“ möchte ich noch ein anderes hinzustellen. Das eines alten jüdischen Gottesbildes, nämlich der Gottheit, die auf der Erde einwohnt, auf hebräisch, der Schechina. In dem Namen steckt das hebräische „wohnen“. In weiblicher Gestalt stellte man sie sich vor und sie war tief mit der Leidensgeschichte des jüdischen Volkes verbunden. Besonders in der Volksbewegung des Chassidismus im 18. Jhd., in der Zeit einer furchtbaren Judenverfolgung in Ostgalizien(Polen) war die Schechina Begleiterin. „Sie ist das Antlitz Gottes in der Welt, in ihr wird er sichtbar, in ihr verhüllt und offenbart er sich“. (6) Sie kostet die andere, die bittere Seite des Lebens und ist mit dem jüdischen Volk schon ins Exil nach Babylon gegangen. Exil heißt im Grunde genommen alles, was abgeschnitten ist von seinem Ursprung, was sich nicht eingebunden weiß in das Umfassende. Es meint die Einsamkeit des Menschen vor dem Nichts. Die Schechina also ein Bild  für die Seite Gottes, die in diesem geschilderten Exil einwohnt, die also im Brüchigen des Lebens zu finden ist.(7)

In einer chassidischen Geschichte wird von Henoch, einem der Urväter in der Bibel erzählt, er sei Flickschuster gewesen, und habe mit jedem Stich seiner Ahle, der das Oberleder an die Sohle nähte, den heiligen Geist mit der Schechina verbunden. Ein Bild für eine Erfahrung, nämlich von Moment zu Moment, mitten im Alltäglichen, auch wenn es noch so brüchig ist, ‚Gott im Verborgenen’ zu finden.

Von der Gestalt der Schechina fühlte sich die Dichterin Nelly Sachs besonders angesprochen. Sie trug ja das gleiche Schicksal wie die Schechina, in ihrem Exil in Stockholm, wohin sie auf ihrer Flucht aus dem Berlin des ‚dritten Reiches’ gekommen war. Sie hatte eine besondere Begabung, das Leiden anderer Menschen zu erspüren, mitzuleiden und es schreibend zu transzendieren, vor allem das Leiden der Juden, die in den Gaskammern enden mussten.

In mystischer Weise spricht sie von der Schechina:

„Vielleicht ist sie das unsichtbare Erdreich, daraus die glühenden Wurzeln der Sterne treiben...“(8).

Zu dieser mystischen Seite findet Nelly Sachs schon in Berlin, wie sie von Abenden erzählt, an denen sie sich mit Freunden trifft, die nicht mehr wiederkehrten. „An jenen Abenden, damals in Berlin, immer den Tod im Rücken, mit den Freunden, die nicht mehr wiederkehrten hier zu uns, blühte in aller Dunkelheit etwas auf, was man wohl den im lauten Leben fast vergessenen chassidischen Geist nennen könnte. In dieser Hölle, in der wir uns befunden, blühte diese Mystik von der Heiligung des Augenblicks für viele Verfolgte wie eine Feuerader auf aus der Sehnsuchtsgeschichte meines Volkes“ (9). In der Mystik findet sich für sie der Glutkern jeder Religion, der in der Heiligung des Augenblicks immer neu erfahren wird. Und so ist für sie in alter jüdischer Tradition Gotteserfahrung verwoben ins Zerbrechen:


Die Auferstehung

deiner unsichtbaren Frühlinge

sind in Tränen gebadet

 Der Himmel übt an dir

Zerbrechen

 Du bist in Gnade      (10)

 

Stellvertretend für viele hat Nelly Sachs dieses Gedicht geschrieben. Weniger dichterisch ausgedrückt, für diejenigen, die sich trotz äußerer und innerer Zerstörung den Respekt vor der Würde anderer bewahrt haben, deren Liebesfähigkeit nicht gebrochen ist und die damit verbunden in Grenzsituationen des Lebens einen transzendenten Grund gefunden haben.

Diese Art, zu erkennen, geschieht ganz verwoben mit dem Schmerz. Ich, oder Wir und der Schmerz sind fast eins. Und doch, diese Feuerader zu erleben, von der Nelly Sachs spricht, das schließt nach meiner Erfahrung  noch ein Drittes ein. Nicht vom Schmerz verschlungen zu werden oder anders, aus dem Zerbrechen nicht mehr heraus zu finden, sondern sich damit wieder aufzurichten. Auferstehen, wie es in dem Gedicht heißt.  

In der Arbeit mit schwer traumatisierten Menschen kenne ich das. Mit ihnen übe ich immer wieder einen Perspektivenwechsel. In eine dritte Position zu gehen und von da aus hinzusehen, zum Beispiel  als innerer Zeuge, innere Zeugin, hinzusehen. Diese Zeugin steht bei und sieht zugleich wertfrei das Geschehene. Oft wird es dadurch erst möglich, sich nicht mehr nur ausgeliefert zu erleben, sondern mit der Verletzung, integriert in sich, weiter zu leben, mit einer veränderten Lebensqualität. Für viele öffnet sich dabei  auch einer spirituelle  Dimension. Damit wird der Schrecken, der mit so schweren Erfahrungen verbunden ist, nicht verharmlost sondern bekommt einen Platz, fließt in Sprache und, so merkwürdig das auch klingt, wird handhabbarer.

Wenn ich nun an den kollektiven Schrecken denke, denen die Menschen im Irak ausgeliefert sind, so weiß ich da keine Lösungen. Aber die geschilderten Erfahrungen Betroffener lassen Hoffnung aufkommen, dass Göttliches mitten im Zerbrechen aufscheinen kann. Und  womöglich heißt Friedensarbeit  dann ein Mitleiden und  Mitempfinden, gepaart mit politischer und therapeutischer Arbeit. Und dazu ist diese dritte Position ganz wichtig.

Um gerade das besser zu verstehen, war es für mich hilfreich, über den jüdisch-christlichen Bereich hinaus zu gehen und Aspekte sowohl des Hinduismus als auch des Buddhismus aufzunehmen. Gerade dort  wird in den mythologischen Bildern aber auch in den Meditationswegen diese dritte Position entfaltet und geübt. Zum Beispiel wird in der hinduistischen Tradition Tod und Zerstörung auch von einer Außenposition gesehen. Die indische Mythologie sieht in den Gottheiten Brahma, Vishnu und Shiva drei Aspekte der Muttergöttin Maya. Diese Muttergöttin hat in sich den „alles gebärenden Schoß, die allnährende Brust, das alles verschlingende Grab“ (11), und diese drei Aspekte der Muttergöttin sind in drei Gottheiten eingeflossen. Brahma der Schöpfer, Vishnu der Welterhalter, der Retter, der für Ruhe sorgt, und  Shiva schließlich der Zerstörer, unabdingbar verbunden mit dem ewigen Fluss des Geschehens. Von der Außenposition gesehen braucht es alle drei, also auch den Zerstörer. „Werden“, „Bleiben“ und „Vergehen“, das gehört zusammen. Die Herausforderung liegt nun darin, damit zu leben und zu sterben, nicht resignierend, nicht fatalistisch erklärend, z. B. Kriege müssen eben sein -  sondern paradox. Die eine Seite versuche ich zu leben, indem ich mich immer wieder vor den vielfältigen Formen des Todes verneige, sei es, vor den fallenden Blättern im Herbst, vor den schwerkranken Menschen, vor den Toten, die mir lieb waren und gegangen sind, vor den Toten im Irakkrieg, auf welcher Seite auch immer sie waren. Auch zu wissen, wie kurz es ist, dass Menschen auf das Werden und Vergehen in unserem Kosmos Einfluss nehmen, und  dass die Geschichte des Kosmos wohl auch ohne uns Menschen weitergehen kann. Die andere Seite zu leben, das heiß für mich, Achtsamkeit und Sorgfalt im Umgang miteinander und mit den Tieren und Pflanzen. Und daran zu arbeiten, dass auch für die  nächste Generation  das Leben auf der Erde lebenswert  sein kann.

Und trotzdem – es bringt mich nach wie vor in einige Verwirrung , nicht nur im Schöpferischen und im Bleibenden die göttliche Nähe zu suchen, sondern ausdrücklich  auch in der Zerstörung.

Was das konkret heißen kann, hat mit vor Kurzem eine Freundin klar gemacht. Sie war in Indien, und  hat mir erzählt, wie sie am Ganges gestanden ist, an diesem ökologisch toten  und zugleich vergöttlichtem  Fluss, und sie den gesunden und kranken Menschen zugesehen hat, wie sie in den Ganges gestiegen sind, um Reinigung und Heilung zu suchen. In dem Augenblick hat  meine Freundin, die selbst krank war, etwas begriffen. Sie hat es so gesagt: die Krankheit ist die Gottheit. Das klingt paradox, hat ihr aber einen anderen Ungang mit  ihrer Krankheit eröffnet.

Im Zusammenhang mit dem Buddhismus finde ich noch einen Aspekt viel deutlicher ausgeprägt, als im jüdisch – christlichen Bereich, obwohl er auch dort nicht fehlt. Das ist  die Erfahrung der Leere. In den Bildern vom leeren Grab Jesu, oder vom leeren Allerheiligsten im Tempel ist in der Bibel schon etwas von dem zu finden, aber im Buddhismus ist es der zentrale Bereich, und die Wege dorthin sind eine ständige Einübung. Dabei passiert wieder dieses Paradoxe. Im Loslassen ist es wichtig, sich von der engen Verbundenheit mit dem Schmerz oder mit dazu gehörigen Ereignissen zu distanzieren. Das geht aber nur, wenn ich sie zugleich integriere  und nicht abspalte.  Zur Erfahrung der Leere zu finden, was ja eins ist mit der Erfahrung der Erleuchtung, -  das geht nur über diese paradoxe Bewegung—Loslassen und Integrieren. Auch das ist eine Seite, die es beim  Einüben in die dritten Position, von der vorhin die Rede war, braucht.

Wenn ich nun auf meinen Anfang zurückkomme, auf meine Angst im Zusammenhang mit einer möglichen, weltweiten Krise,  und , damit verbunden auf meine Suche nach einer illusionsfreieren Spiritualität, dann ist für mich jetzt das Neue,  Schöpfung und Zerstörung im Kosmos und damit auch im Menschen bewusster in einen Zusammenhang zu sehen. Das heißt nicht, eine Erklärung zu dem Bestialischen im Menschen abzugeben, sondern mich einer Paradoxie auszusetzen. Auf der einen Seite an der Heilung von Leib und Seele im Menschen, am sorgsamen Umgang mit der Natur weiter zu arbeiten und auf der anderen Seite die Zerstörung und das Vergehen mit einzubeziehen. Ich weiß, es sind keine Lösungen, die ich gefunden habe. Es sind eher Bruchstücke von Gedanken , die mich zugleich erschüttern und stärken.

Die weltweite Bewegung geht weiter, auch wenn sie krisengeschüttelt ist. Das ist für mich nun verbunden mit einem Vertrauen, dass es letztlich um Transformation geht, um Evolution, an der wir Menschen teilhaben, in die wir uns involvieren, die uns Menschen aber bei Weitem übersteigt.

 

Barbara Knittel

 

 

 

 1) vgl. H. Petzold /Integrative Therapie/ Zeitschrift für vergleichende
    Psychotherapie und Methodenintegration, 1/2003,S 46

2) Hans Küng, „Grundvertrauen und Weltethos“, in Helga Egner
    hrg. „Lust auf neue Werte“, Walter, 2001, S 18).

3)  Küng a.a.O. S25

4) (Küng,a.a.O. S 14

5) Dorothee Sölle, „Mystik und Widerstand , Lebenswerte im Zeitalter der
    Globalisierung“ in Egner hrg. “Neue Lust auf Werte“, Walter .2001, S187/88.

6) zit. bei Gershom Scholem, „Von der mystischen Gestalt der Gottheit“ Frankfurt
    a.M.,1977 S177)

7) vgl. Veronika Merz „Das Universum des Unsichtbaren“, Kraftquellen und
    der Dichterin Nelly Sachs, Pandora, 2000, S 35 - 46

8) Nelly Sachs „Fahrt ins Staublose“ Gedichte, Frankfurt,1991, S 25 

9) Briefe der Nelly Sachs,19.9.51, Frankfurt 1984

10)Nelly Sachs, Gedichte, Suhrkamp 1992, S 77

11) H. Zimmer. “Abenteuer und Fahrten der Seele. Vier Episoden aus den
      Sagen um die Göttin“, Köln 1977, S 250 – 304

 

 

 

Mag. Barbara Knittel

Mag. Barbara Knittel

„Projekt Weltethos“ Hans Küng, 1990 Verlag: Piper, ISBN: 3492034268

„Projekt Weltethos“ Hans Küng, 1990 Verlag: Piper, ISBN: 3492034268

„Mystik und Widerstand“, Dorothee Sölle, 1997, Verlag: Hoffmann und Campe, ISBN: 3455085830

„Mystik und Widerstand“, Dorothee Sölle, 1997, Verlag: Hoffmann und Campe, ISBN: 3455085830

„Fahrt ins Staublose“, Nelly Sachs, 1988, Verlag: Suhrkamp, ISBN: 3518379852

„Fahrt ins Staublose“, Nelly Sachs, 1988, Verlag: Suhrkamp, ISBN: 3518379852

  „Abenteuer und Fahrten der Seele“, H. Zimmer, 1997, Verlag: Dietrichs, ISBN: 342400877X

„Abenteuer und Fahrten der Seele“, H. Zimmer, 1997, Verlag: Dietrichs, ISBN: 342400877X