"Gentechnologie – Chancen und Risken"

Vortrag 28.02.2002 vor der evangelischen Pfarrgemeinde Dornbirn.

„Die Geister, die ich rief.....“
Gentechnologie – Chancen und Risken
Vortrag 28.02.2002 vor der evangelischen Pfarrgemeinde Dornbirn.

 

 Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

 ich bin eingeladen aus medizinethischer Sicht zu einer Denkschrift der evangelischen Kirche über „Verantwortung für das Leben“ zu Fragen der Biomedizin Stellung zu beziehen.

 Wie um mein Geburtsjahr herum „das Atom“ die Menschen bewegte und verunsicherte, sind für die Generation unserer Kinder nun wieder und aus einer ganz anderen Richtung Fragen aufgebrochen, die ähnlich verunsichern. Z. B. jene des Klonens oder der sogenannten verbrauchenden Embryonenforschung, zu welcher  der rechtspolitische Sprecher der Gründen in Deutschland Volker Beck etwa meinte, dass im Falle ihrer Zulassen „die Welt nicht mehr dieselbe sein wird“.

So gesehen ist die Bedrohung nun also vom Makrokosmos in den Mikrokosmos gerutscht, der Mensch scheint nun auch hier in eine vorher Gott gegebene Ordnung eingreifen zu können und wollen, wieder tun sich, wie beim Atom ungeheuere Chancen aber auch Gefahren auf.

Wir treffen dann auch eine entsprechende Vielfalt an Haltungen an, von einer gefährlichen Hybris, einem Übermut bishin zu blockierender Angst oder einem Widerstand, gerade fundamentalistischer Art.

Wie schwierig das ist, diese Thematik einigermaßen gelassen und vernünftig zu verhandeln, hat etwa der Philosoph Peter Sloterdijk vor 2 Jahren erfahren, als sein Vortrag „Regeln für den Menschenpark“ ein ungeheueres Echo und Turbulenzen hervorrief.

Ganz offensichtlich stehen wir wieder vor einer Situation wie Goethes Zauberlehrling, der die Geister die er rief, nicht mehr beherrschte.....

Weniger lyrisch, jedoch geradezu seherisch, hat der Philosoph Martin Heidegger in den 50-er Jahren in einem Vortrag Gefahren moderner technologischer Entwicklungen aufgezeigt; er wies aus, dass wir heutzutage Gefahr laufen ganz dem naturwissenschaftlichen, also „rechnenden“ Denken verfallen und darüber eine wohl höhere Kunst, nämlich das Nachdenken vergessen... die Faszination über das Machbare also die Frage nach dem Sinn oder Un-sinn zumindest nicht ehrlich stellen lässt... wir auf diese Weise von Entwicklungen überrollt werden, deren Risken oft erst verspätet wahrnehmen und vor allem ernst nehmen. Dass eine Diskussion hierzulande, ich meine nun Deutschland und Österreich, sozusagen das alte Großdeutschland zusammen besonders schwierig ist, dass hier der Schatten des 3. Reiches eine vernünftige Auseinandersetzung erheblich erschwert hat, wie der Peter Sloterdijk besonders klar festgestellt und von selbst „Einsperrungsphänomenen“ der Deutschen gesprochen, die unfähig seien mit dem Freiheitsangebot umzugehen:

„Bestimmt die jüngeren Debatten in Deutschland nicht dieser eine Grundzug: Des Nichtloslassenkönnens des Gewesenen als Denk- und Erfahrungshorizont, die gequälte Unfähigkeit, das Zukünftige zu gestalten.... ?.... es scheint, sie haben den Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung nie recht verstehen wollen und glauben offenbar noch immer, sie könnten Glaubwürdigkeitspunkte sammeln, wenn sie sich eher schuldig als verantwortlich benehmen... “ (P. S.)

Ich selbst habe mich dabei ertappt, dass ich in Diskussionen, z. B. über aktive Euthanasie oft Killerargumente verwendet habe und etwa Entwicklungen in den Niederlanden und der Schweiz zu simpel mit jenen des 3. Reichs und der dort gepflogenen Euthanasie (immerhin sprach auch Hitler vom „Gnadentod“) gleich gesetzt habe. Das hilft selbstverständlich nicht weiter – vor allem, wenn man über all das nicht nur diskutiert, spekuliert oder ideologisiert, sondern – im Handeln zu Entscheidungen kommen muss – wie ich es als Arzt immer wieder gehalten bin, weswegen sie mich wohl auch eingeladen haben.

 

Wir sind also heutzutage in die Lage versetzt, Entscheidungen zu treffen, von denen der gute alte Hippokrates – dessen Eid wir immer noch schwören – nicht zu träumen wagte; dies im Guten – also den Möglichkeiten und Chancen, wie auch im Schlechten – nämlich in der Überforderung, der Gefahr des Missbrauchs, möglicherweise auch einer noch stärkeren Hierarchisierung und damit möglicherweise auch Brutalisierung unserer Gesellschaft.

Ich komme – bitte um Ihr Verständnis – noch immer nicht zum speziellen Thema des Abends.

Will vorher noch einige Dilemmata aufzeigen, in denen wir stecken.

Entscheidungen, die ich hier meine, betreffen die ganze Lebensstrecke des Menschen, von der Befruchtung, intrauterinen Existenz, schweren gesundheitlichen Krisen während und vor allem auch gegen Ende des Lebens, bishin zur möglichen Selbstbestimmung unseres Todeszeitpunkts durch Suizid oder Euthanasie. In all diesen Bereichen können wir heute viel mehr als früher, sollen wir auch, dürfen wir auch? Der medizinische Fortschritt hat uns Chancen und Entscheidungsnotstände gebracht, etwa durch die in vitro Fertilisation, die pränatale Diagnostik, Entscheidungen bei ins Koma gefallenen und hirntoten Menschen. Nicht unerwähnt lassen darf ich auch die immer ungerechtere Verteilung der Mittel weltweit, wenn es um Organersatz oder sehr kostenintensive Behandlungen geht: Dort das Verhungern oder Wegsterben von Millionen, weil schon sauberes Wasser, Nahrung, Impfseren oder Antibiotika fehlen – hier ein immer größerer Aufwand an Mitteln, die ein möglichst langes und möglichst beschwerdefreies Leben ermöglichen sollen. Dies ist hier jedoch nicht das Thema, also weiter:

 

Etwa zu einigen Aspekten der Gentechnik:

Vor Jahren hat die Entschlüsselung des menschlichen Genoms großes Aufsehen erregt – wobei Kritiker bald feststellten, dass damit zwar „viel Text“ aber nur wenig Sinn vorliege....

Dass zudem mit einer Überbetonung der Genetik übersehen wird, dass nach heutigem Verständnis die meisten Krankheiten multifaktoriell, d. h. zwar auch genetisch konstitutionell aber ebenso von der individuellen Lebensgeschichte und dem sozialen Umfeld her verursacht werden – es sich also um komplexe Wechselwirkungen handelt - .

Der Mensch darf nicht auf eine Dimension zurück gestutzt, also reduktionistisch nur als Ergebnis seiner genetischen Programmierung betrachtet werden !

Die Genetik kann im besten Fall nur einen Teil der offenen Probleme lösen, bei aller Euphorie dürfen die Anstrengungen also nicht nur auf diesen einen Bereich gelegt und Mitteln von anderen wichtigen sozialmedizinischen Gebieten abgezogen werden.

Weiters muss für die gegenwärtige Situation klar gestellt werden, dass die sogenannte Gentherapie bis dato mehr verspricht als sie halten kann, ihre Möglichkeiten wohl massiv überschätzt werden !

Ein heute strittiges Thema ist der Embryonenschutz – hier droht tägliche Praxis die Theorie zu überholen..... Diskussionen um den Beginn menschlichen Lebens, das Lebensrecht und die Lebenswürde nehmen teils groteske Formen an. Ist der Embryo von Anfang an Mensch und Person, wenn auch unvollkommen und genießt er damit volles Recht und allen Schutz eines menschenwürdigen Daseins – die logische Konsequenz wäre ein striktes Verbot von Abtreibung, künstlicher Befruchtung und nidationshemmender Empfängnisverhütung.... oder aber die definiert man das Problem ganz einfach weg, wie es ein prominenter Arzt und Theologe letzten Sommer versuchte, in dem er der vereinigten Ei- und Samenzelle erst nach aufgenommenem „Dialog“ mit dem mütterlichen Gewebe, also Einnistung in die Gebärmutter den Status des Embryonen zubilligt.... ?

Was macht denn diese Embryonen so interessant ? Es ist die Totipotenz der Zellen in diesem Entwicklungsstadium. Totipotenz bedeutet, dass sich diese Zellen nicht nur zu verschiedenen Zelltypen ausdifferenzieren können, sondern sind unabhängig voneinander zu einem vollständigen Lebewesen entwickeln können.

 

Nun zu den wichtigsten Inhalten der Denkschrift, was praktische Anwendungen betrifft.

pränatale Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik:

Ersteres meint die vorgeburtliche Untersuchung um mögliche Schädigungen und Erkrankungen bereits während der Schwangerschaft zu entdecken – wobei die Feststellung eines Defekts natürlich häufig zur Frage, ob die Schwangerschaft fortgesetzt werden soll oder nicht, führt.

Bei der Präimplantationsdiagnostik werden im Reagenzglas erzeugte Embryonen auf mögliche Chromosomendefekte untersucht (was in den meisten europäischen Ländern erlaubt ist, in Österreich verboten). Proargumente sind vor allem, dass damit Spätabtreibungen vermieden und mit Erbkrankheiten belastete Menschen mit höherer Sicherheit gesunden Nachwuchs bekommen können.

Von Kritikern wird auf die Gefahr einer erweiterten Selektion hingewiesen – man könnte „Menschen nach Maß“ züchten bzw. wäre damit mit einer tiefgreifenden Veränderung der Einstellung gegenüber Krankheit und Leiden, wie auch vor allem gegenüber Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen zu rechnen. Der Druck auf Mütter oder Eltern, die sich für die Annahme eines Kindes mit Behinderungen entscheiden, würde zwangsläufig verschärft.... Dass dies keine eingebildete sondern sehr reale Befürchtung ist, bewiese vor kurzem ein Gynäkologe in Wien in einer Aussendung, in der er für pränatale Diagnostik mit dem Hinweis warb, dass dadurch auch erhebliche Einsparungen möglich wären, da weniger behinderte Kinder zu versorgen wären.....

Hier vermerkt muss werden, dass die embryopathische bzw. eugenische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch noch immer im österreichischen Strafrecht verankert ist und auch Spätabtreibungen erlaubt – für die Abschaffung dieser Regelung, die im Widerspruch zur gesetzlichen Gleichstellung von behinderten und nichtbehinderten Menschen steht, kämpfen seit Jahren verschiedene Initiativen....

 

Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Forschung an embryonalen Stammzellen: Bei Stammzellen handelt es sich um sogenannte pluripotente Zellen, die sich zwar zu verschiedenen Zelltypen ausdifferenzieren, jedoch nicht mehr zu einem Embryo entwickeln können (wie die vorher erwähnten totipotenten Zellen).

Man hofft, aus Stammzellen komplexere Gewerbsverbände und vielleicht auch ganze Organe züchten zu können, ferner neuartige Medikamente (was im Tierversuch schon gelungen ist).

Stammzellen kommen auch beim erwachsenen Menschen, in seinem Blut vor, am leichtesten sind sie bis dato allerdings aus Embryonen zu gewinnen – etwa aus verworfenen Embryonen bei der künstlichen Befruchtung.

Ob es möglich ist, eine ethisch vertretbare Güterabwägung zu formulieren und durchzusetzen, ist die Frage und Herausforderung.

Inwieweit darf ich also hier in werdendes Leben eingreifen, um Leid, Krankheit und Behinderung zu vermindern? Dammbrüche sind passiert, in dem verschiedene Länder verschiedene Regelungen haben, höchst unterschiedliche Lizenzen und Patente vergeben werden.

 

Zwischen dem Recht der Leidenden und dem Recht der Werdenden muss sehr sorgfältig abgewogen werden, die Werte und die Grenzen bestimmt der Mensch. Der Mensch kann ganz offensichtlich die Welt aus dem Gleichgewicht bringen, die Sicherheit, Gott werde für die Balance der Natur sorgen ist geschwunden, warnen verschiedene Ethiker. Wir können uns nicht mehr moralisch an der Natur orientieren. Die Grenzen verschwimmen permanent. Es fragt sich, welche Tabus sich der Mensch selbst setzt, woran er sich orientiert, in einem heute pluralistischen, demokratischen und gesamtgesellschaftlichen Prozess. Eine Denkschrift, wie sie die evangelische Kirche vorlegt, ist hier für den einzelnen ganz gewiss überforderten Menschen eine sehr gute Leitlinie. Es wäre fatal, die Verantwortung den Wissenschaften zuzuschieben. Nach wie vor hat sie der einzelne Mensch persönlich zu tragen.

 

 

"Grundzüge der Gentechnik" Springer Basel

"Grundzüge der Gentechnik" Springer Basel