"Suizidforen im Internet"

"Let it be" titelt das deutsche Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL 9/2001: "Unbemerkt von ihren Eltern, holen sich Heranwachsende in Internet-Foren Anleitungen zum Selbstmord. Minderjährigen werden tödliche Medikamente angeboten, Fachleute sind alarmiert..." Dr. Lingg

Suizidforen im Internet
von Dr. Albert Lingg


"Let it be" titelt das deutsche Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL 9/2001: "Unbemerkt von ihren Eltern, holen sich Heranwachsende in Internet-Foren Anleitungen zum Selbstmord. Minderjährigen werden tödliche Medikamente angeboten, Fachleute sind alarmiert..."

(Nachzulesen unter www.spiegel.de, wo sich auch ein FORUM mit der Thematik beschäftigt.)

Es wäre nun zu einfach und kurzschlüssig, "dem Internet" (neue technische Entwicklungen haben sich ja schon immer als Projektionsfeld für Weltuntergangsszenarien angeboten...) die Schuld an gehäuften Suiziden unter Jugendlichen zuzuschreiben. Die Problematik muss sicher differenziert gesehen werden: Einmal finden verzweifelte Menschen über dieses Medium vielleicht überhaupt noch einen, wenn auch distanzierten Kontakt zu anderen Usern - dann wieder gerät ein zunächst nur neugieriger Jugendlicher auf diesem Weg erst in den Sog negativer Gedanken...
Aus der Suizidforschung wissen wir, dass in der Regel mehrere und von Mensch zu Mensch sehr unterschiedliche Faktoren jemanden in diese letzte Verzweiflung führen - etwa nicht lösbare Konflikte mit sich und der Mitwelt, psychische Krankheiten oder eine momentan unerträgliche Situation, nicht selten auch eine Kombination dieser Faktoren. Das Internet allein ist niemals schuld! Es gibt dem User allerdings womöglich den letzten Stoss - oder anders gesagt: statt von einem nahe stehenden Menschen oder professionellen Helfer erhält der verzweifelte, meist jugendliche Mensch in manchen Foren Anleitung oder Zuspruch sich zu töten.

Es gibt außerdem eine psychische Ansteckung von Suizid: wenn ein anderer diesen Weg geht, senkt dies die natürliche Hemmschwelle. Halte ich mich täglich oder nächtlich in diesen Chatrooms auf und vernachlässige ich daneben den natürlichen Umgang mit meinem Umfeld, verliere ich eine natürliche Scheu vor der Selbsttötung, es sei denn, ich treffe dort eine(n), der mich auffängt, auf die Seite des "Trotz - allem - Weiterlebens" zieht oder selbst von überstandener Verzweiflung und neu gewonnener Lebensfreude berichtet.

Suizidverhütung wird durch all das nicht leichter. Wir sind jedoch aufgefordert, nicht aus Ratlosigkeit, Bequemlichkeit oder Arroganz wegzuschauen oder wegzuhören, wenn neben uns ein Mensch in eine suizidale Krise gerät!

Anzeichen hiefür sind: Klagen über Lebensüberdruss, Rückzug von Freunden und Partnern, Verlust von Interessen und Lebenssinn, Hinweise auf Erschöpfung und gleichzeitige innere Gespanntheit. Besonderes Augenmerk ist Menschen in abrupt geänderten Situationen zu schenken: nach Unfällen, unerwartetem Verlassenwerden, Eröffnung ernster Diagnosen - vor allem, wenn diese Person dabei auf sich gestellt ist (Gefahr des Kurzschluss-Suizids). Sehr häufig ist auch Alkohol- oder Drogenkonsum im Spiel und geraten Leute ins "heulende Elend", deren objektive Situation vielleicht gar nicht so tragisch wäre und die, schützt man sie für Stunden, das Leben auch wieder bejahen können.

Angehörige und Freunde sollten vor allem nicht weghören, wenn sich eine Krise auftut. Das Problem ansprechen, die Isolierung des Betroffenen durchbrechen: Kontakthalten ist die wirksamste Suizidprophylaxe! Allerdings muss der Laie hier seine Grenzen kennen und dann gegebenenfalls Rat oder Hilfe suchen (Beratungsstellen, diensttuende Ärzte, Telefonseelsorge).

Freunde, Geschwister und Eltern sollen ermutigt werden, dann aktiv zu werden, wenn sich einer aus ihrer Mitte davonstiehlt und vor seinem PC vereinsamt.

Um auch im neuen und vor allem für Männer und junge Menschen so wichtig gewordenen Medium Internet präsent zu sein, wird die Telefonseelsorge Vorarlberg nach sorgfältiger Vorbereitung ihr bislang aufs Telefon begrenzte Angebot erweitern - sie will damit auch eine Alternative zu teils dubiosen Anbietern im Netz sein.

Dr. Albert Lingg

 

Links zum Thema


http://www.lkhr.at

 

 

 

 

 

 

Käsler-Heide, Helga, "Bitte hört, was ich nicht sage.", Signale von suizidgefährdeten Kindern und Jugendlichen verstehen. Unter der Mitarbeit von Brigitte Nikodem, Verlag: KÖSEL, ISBN: 3-466-30540-3

Käsler-Heide, Helga, "Bitte hört, was ich nicht sage.", Signale von suizidgefährdeten Kindern und Jugendlichen verstehen. Unter der Mitarbeit von Brigitte Nikodem, Verlag: KÖSEL, ISBN: 3-466-30540-3

Paul G. "Es gibt etwas Besseres als den Tod.", Suizidgefährdung. Rat und Hilfe. Nachwort von Michel Heinrich, Herder Spektrum, Bd.4788 -HERDER, FREIBURG 2000, ISBN: 3-451-04788-8

Paul G. "Es gibt etwas Besseres als den Tod.", Suizidgefährdung. Rat und Hilfe. Nachwort von Michel Heinrich, Herder Spektrum, Bd.4788 -HERDER, FREIBURG 2000, ISBN: 3-451-04788-8