"Magersucht"

Ingrid Bächle-Nußbaumer - Beginn einer 3-teiligen Serie zu Essstörungen

ESSSTÖRUNGEN
Eine dreiteilige Serie in Fortsetzung

  • über das Krankheitsbild der Magersucht (Anorexie),
  • der Ess-Brechsucht (Bulimie)
  • und der Esssucht (Adipositas).


von Ingrid Bächle-Nußbaumer

1. Teil - Magersucht

 

„Ich wollte ich könnte aufhören zu hungern. Mein Hunger nach Leben und Liebe ist so unermesslich, dass ich lieber verhungere als mir vorzustellen, von allem satt und glücklich zu werden  . . .“

Die Magersucht hat verschiedene Ursachen und die Fachwelt ist sich noch nicht einig, was genau zur Entstehung dieser Erkrankung führt. Verschiedene Faktoren scheinen dafür verantwortlich zu sein.

An erster Stelle ist das derzeit geltende Schönheitsideal zu nennen, das auf einen makellosen Körper besteht und von der Modefachwelt über die Medien als Modediktat weitergegeben wird. Junge Mädchen messen sich an diesem künstlichen Idealbild, das meistens mittels Schönheitschirurgie, viel Kosmetik und geschickter Fotoaufnahmetechnik im alltäglichen Leben nicht real ist. Zusätzlich stellt der Gruppendruck unter Jugendlichen gerade junge Mädchen in einen Diätzwang, bei dem es nur um Äußerlichkeiten und Konkurrenz geht.

Das Thema Ernährung hat in den letzten Jahrzehnten einen enormen Wandel nach sich gezogen. War das gemeinsame Essen in der Familie früher ein wichtiges Familienritual um Gemeinsames zu besprechen und zu zelebrieren, gilt heute das Essen als Träger von Gesundheit oder Ungesundheit, von Kraft oder Trägheit, von Erotik und Liebe etc. und ist deutlich emotional überfrachtet.

Die Pubertät als naturgemäß schwierige Zeit, sowohl für den jungen Menschen der  den Erwachsenen skeptisch gegenüber steht,  als auch für viele Eltern, die der Veränderung der Tochter ratlos entgegen sehen. Unsicherheit, Selbstwertprobleme und Ablehnung dem eigenen Körper gegenüber können eine Essstörung begünstigen.

Meistens beginnt eine Magersucht ganz harmlos mit einer Diät. Das junge Mädchen nimmt erfolgreich ab und erhält dafür von der Umwelt vorerst viel positive Beachtung und Lob. Das motiviert weiter abzunehmen und stärkt vorerst das Selbstbewusstsein.
Das Mädchen erliegt dem Irrtum, wenn sie noch mehr abnimmt, wird sie sich noch besser fühlen. Das ist meistens der Beginn der schleichenden Erkrankung, die sich verselbständigt und nun die Regie übernimmt.

Zwei Symptome der Magersucht machen sich für die Umwelt bald bemerkbar. Die fehlende Krankheitseinsicht und eine Körperschemastörung.
Mit Körperschemastörung ist folgendes gemeint. Wir alle haben eine subjektive Körperwahrnehmung, d.h. manche Menschen fühlen sich in ihrem Körper schlank, andere mollig und viele Varianten dazwischen. Manchmal verändert sich der Körper mit dem Älterwerden aber die Körperempfindung bleibt eine jugendliche. Im Normalfall liegen ein paar Kilo zwischen dem tatsächlichen Gewicht und der eigenen Empfindung. Bei einem magersüchtigen Mädchen können sehr viele Kilos dazwischen liegen. Sie fühlt sich dick und sieht dies auch vermeintlich im Spiegel, obwohl sie schon starkes Untergewicht hat.
So erklärt sich die fehlende Krankheitseinsicht, da das Mädchen ja überzeugt ist gesund zu sein und eher zu viel Gewicht auf die Waage zu bringen.
Fortan regiert die Waage das Stimmungsbild der Tage und schon ein paar Gramm mehr können tiefe Verzweiflung und Depression auslösen.
Paradoxerweise dreht sich gedanklich alles um Nahrung, Nahrungsmittel bis hin zu Kochrezepten und Angehörige bekochen. Es scheint als wäre für andere Gedanken kein Platz mehr. Dadurch ist ein Rückzug von Freundschaften, von der Familie und vom alltäglichen Leben für Außenstehende auffällig. Geschickt wird um die gemeinsamen Essenszeiten herumgemogelt und wenn, dann nur noch alleine, ohne Zuschauer, Kleinstportionen gegessen. Bizarrste Formen, wie ein Zerschneiden von einem Salatblatt in zwanzig Teile, sind keine Seltenheit.
Gleichzeitig kann eine körperliche Überaktivität eintreten, aus dem Wissen das Passivität wenig Kalorien verbraucht, Bewegung jedoch mehr Kalorien verbrennt. Mehrere Kilometer täglich zu joggen, Rad zu fahren, Klimmzüge, selbst beim Lesen und essen zu gehen sind keine Seltenheit. Hier wird der Zwangscharakter der Erkrankung  am deutlichsten, denn es ist nicht möglich zur Ruhe zu kommen. Schlaf wird nur noch wenig benötigt, die Konzentration auf Schulisches wird schwierig, gleichzeitig entsteht ein überzogener Leistungsanspruch, der in der Schule nur noch Bestnoten zulässt. Mittelmäßigkeit ist unerträglich und wird zum persönlichen Maß aller Dinge.

Die Körpertemperatur ist herabgesetzt, was durch das Untergewicht zu dauerndem Frieren führt. Ebenfalls wird die Verdauung im Darm durch die geringe Nahrungsaufnahme empfindlich aus dem Gleichgewicht gebracht, was häufig zur Einnahme von Abführmitteln führt. Der Teufelskreis ist perfekt.

Falls das Mädchen vor der Erkrankung schon ihre monatliche Blutung hatte, wird diese sehr bald aus „Sparmaßnahmen“ des Körpers eingestellt. Es kommt somit zu einem Stillstand in der körperlichen Geschlechtsreife, was dem betroffenen Mädchen nur recht ist, da es ja gerade dies bekämpfen und auflösen möchte. Es herrscht große Ablehnung gegenüber der biologischen/sexuellen Reifung.

Folgeschäden können sein:
Veränderung der Knochendichte (Osteoporose) wie sie sonst nur bei alten Menschen vorkommt, bedingt durch den Kaliummangel bei Unterernährung.
Depressionen bis Selbstmordgedanken
Unfruchtbarkeit
u.a.

Je früher fachliche Hilfe einsetzt desto besser sind die Heilungschancen, denn eine Chronifizierung dieser Erkrankung erschwert die Behandlung beträchtlich.

Behandlung:

Eine umfassende Psychotherapie in der die zugrundeliegenden Probleme bearbeitet werden, da eine Essstörung an sich nur ein Symptom darstellt.

Ärztliche Untersuchung beim Hausarzt und/oder Facharzt (Internist oder Psychiater) mit Blutbild und EKG, EEG.

Beratung und Information bei einer Ernährungsberaterin die auf Essstörungen spezialisiert ist.

Die Therapie sollte immer zweischneidig erfolgen, das heißt, in der Psychotherapie wird auf der emotionalen, seelischen Ebene behandelt und gleichzeitig muss das Körpergewicht stabilisiert und anschließend Gewicht zugenommen werden. Wird nur „aufgefüttert“ und die psychische Erkrankung nicht behandelt, ist ein Scheitern des Gesundwerdens in den meisten Fällen vorprogrammiert. Wird nur Psychotherapeutisch behandelt lässt die Realität des unterversorgten kranken Körpers auch hier ein scheitern als wahrscheinlich zu.
Gelingt es auf beiden Ebenen eine Stabilisierung der körperlichen und psychischen Verfassung zu erreichen ist ein wichtiger erster Schritt in Richtung Heilung getan. Oftmals bemerkt das junge Mädchen selbst ihre bessere Verfassung schon mit wenig Gewicht mehr. Die Nervosität, die Stimmungsschwankungen und der soziale Rückzug wird milder und weniger.  Gleichzeitig ist die Gewichtszunahme mit großer Angst und Panik verbunden, Es ist noch ein weiter Weg, denn die Krankheit wird noch lange versuchen sich wieder durchzusetzen.

Eine kombinierte Psychotherapie  mit zusätzlichen Elementen aus der Verhaltenstherapie, der Familientherapie, der Körper - und Bewegungstherapie haben sich bewährt, da es auch um eine Annahme des eigenen Leibes geht. Oft ist ein kreatives Potential versteckt, dass sich bei fortgeschrittener Therapie einen Weg sucht und viel Lebenslust und Genuss entwickeln kann.

Wenn eine ambulante Therapie nicht zum Ziel führt oder schwierige familiäre Umstände ein Gesundwerden verhindern, kann ein stationärer Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik notwendig sein.
Wenn das Untergewicht ein lebensbedrohliches Ausmaß angenommen hat muß in jedem Fall zuerst ein Aufenthalt in einem Akutspital mit Stabilisierungsmaßnahme erfolgen.
Sich informieren über die Krankheit kann für Angehörige hilfreich sein, denn auch sie brauchen Unterstützung im Umgang mit dem magersüchtigen Mädchen.
In manchen Fällen ist eine Familientherapie angebracht, wenn es keinen Ausweg aus einer schwierigen Familiendynamik gibt.

Eine Zunahme der Magersucht bei jungen Männern ist allgemein zu beobachten. Da sie jedoch bis heute eine ausgesprochene Mädchen/Frauenkrankheit darstellt wurde der Begriff des jungen Mädchens gewählt.

Vorarlberg verfügt über ein dichtes Netz an Beratungsstellen in denen erfahrene Fachpersonen Hilfe und Unterstützung bei der Begleitung von magersüchtigen Menschen anbieten.

 

 

Für den Inhalt:

Ingrid Bächle-Nußbaumer
Psychotherapeutin und Supervisorin

Praxis:

Bahnhofstr. 12
A-6850 Dornbirn
Tel:. 0043 676 4327200
mail: ingrid.bn@gmx.at
www.personcentered.net/baechle-nussbaumer

Schwerpunkt Essstörung seit vielen Jahren
sowohl in der ambulanten als auch in der stationären
Einzel- und Gruppentherapie

Vorträge und Leitung von Fortbildungen im In- und Ausland

weitere Tätigkeitsschwerpunkte:
Frauenspezifische Themen,
Traumabearbeitung (EMDR Traumatherapie)
posttraumatische Belastungsstörungen
Psychosomatische Erkrankungen
u.a.

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